Offener Brief: Biometrische Massenüberwachung stoppen

Gemeinsamer offener Brief gegen die biometrische Fernidentifizierung.

Offener Brief: Biometrische Massenüberwachung stoppen

Pressemitteilung vom 13.3.2024: Der als „die KI-Regulierung“ schlechthin gefeierte AI-Act erlaubt weiterhin biometrische Massenüberwachung durch die Hintertür. Der
Bundestag muss jetzt klar Position beziehen und in der nationalen
Umsetzung den Ausbau einer weitreichenden Überwachungsinfrastruktur
verhindern, so wie es im Koalitionsvertrag abgemacht war.

Der AI-Act verbietet zwar biometrische Überwachung im öffentlichen Raum, ermöglicht aber viele Ausnahmen für Strafverfolgungsbehörden. Biometrische Fernidentifizierung darf immer dann angewendet werden wenn die „abstrakte Gefahr einer Straftat” besteht. Regeln für den konkreten zeitlichen Abstand, der vergangen sein muss, bis eine Identifizierung als Nachträglich gilt, gibt es keine. Somit ist der großflächigen Einsatz von nachträglicher Fernidentifikation erlaubt – sprich mehr biometrische Gesichtserkennung.

Nur ein bisschen biometrische Erkennung?

Im Koalitionsvertrag der Deutschen Ampelregierung heißt es zwar, dass „[b]iometrische Erkennung im öffentlichen Raum” auszuschließen ist und der „Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken” abgelehnt wird, die Parteien befinden sich hier auf einem Schlingerkurs: Während sich alle Koalitionsmitglieder einig sind, biometrische Echtzeit-Erkennung zu verbieten, sieht das Bild bei der nachträglichen Überwachung anders aus: Das grüne Digitalausschuss-Mitglied Bacherle plädiert für einen Einsatz mit Richtervorbehalt; Parsa Marvi, für die SPD im Innenausschuss, kann sich auch nicht zur Linie aus dem Koalitionsvertrag durchringen: Er fordert stattdessen eine Anwendung in einem „deutlich engerer Rahmen".

Nachträgliche Identifikation muss verboten werden!

Nicht nur der Koalitionsvertrag fordert eine komplettes Verbot biometrischer Erkennung in der Öffentlichkeit, es gibt auch weitere gute Argumente: Das Risiko, dass jede Überwachungskamera im Nachhinein menschliche Gesichter identifizieren kann, lässt vom Recht auf Freiheit und Anonymität in der Öffentlichkeit, etwa für Versammlungen und Demonstrationen, nicht viel übrig. Zudem wäre diese Technologie auch in den Händen einer zukünftig möglichen, rechtsextremen (Landes-)Regierung ein Werkzeug des Schreckens. Diese Technik hat wenig Vorteile und immense Nachteile, sie muss also verhindert werden; genau so, wie es bereits klar im Koalitionsvertrag vereinbart wurde.

Der offene Briefe

Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,

heute, am 13. März 2024, beschließt das Europäische Parlament den Artificial Intelligence (AI) Act. Als erstes umfassendes Gesetz zur Regulierung Künstlicher Intelligenz (KI) weltweit schafft der AI-Act in der gesamten Europäischen Union einheitliche Regeln für die Entwicklung und den Einsatz von KI.

Die finale Fassung des AI-Acts verbietet biometrische Überwachung im öffentlichen Raum zwar grundsätzlich, lässt jedoch eine Vielzahl an Ausnahmen zu. Diese weitreichenden Ausnahmen für Strafverfolgung und Sicherheitsbehörden laden europaweit zum Ausbau öffentlicher Überwachung ein. Eine solche Überwachungsinfrastruktur führt dazu, dass Menschen unter dem ständigen Gefühl der Kontrolle ihre Freiheitsrechte nicht mehr ungehindert ausüben. Der Schutz von Menschenrechten darf jedoch nicht unter Vorbehalt stehen. Insbesondere im aktuellen politischen Klima müssen die demokratischen Kräfte gemeinsam die Möglichkeit des institutionellen Machtmissbrauchs minimieren. Deshalb gilt es nun, die im AI-Act explizit vorgesehene Möglichkeit der nationalen Verschärfung europäischer Regeln sowohl für Echtzeit- als auch für nachträgliche biometrische Fernidentifizierung zu nutzen.

Wir fordern Sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages daher auf, jede Form der biometrischen Fernidentifizierung in Deutschland zu verbieten!

Im Koalitionsvertrag verpflichten sich die Regierungsparteien gleich an zwei Stellen, biometrische Überwachung in Deutschland zu verhindern. So heißt es, dass „[b]iometrische Erkennung im öffentlichen Raum“ europarechtlich auszuschließen sei, auch der „Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken“ wird explizit abgelehnt. Nachdem das europarechtliche Verbot biometrischer Überwachung nun nicht vollständig umzusetzen war, muss ein nationales Verbot das Mittel der Wahl sein.

Die Durchführung biometrischer Echtzeit-Fernidentifikation im öffentlichen Raum öffnet die Tür in dystopische Verhältnisse, in denen jeder Mensch bei jeder Bewegung im öffentlichen Raum permanent identifizierbar und überwachbar wird. Ähnliches gilt auch für nachträgliche biometrische Fernidentifikation, die ebenfalls die Bildung umfassender Personenprofile ermöglicht. Anonymität im öffentlichen Raum ist eine der Grundvoraussetzungen für freie Meinungsäußerung und demokratischen Protest. Insbesondere Angehörige marginalisierter Gruppen werden von der Ausübung ihrer Meinungs- und Demonstrationsfreiheit abgehalten, wenn sie Repressalien befürchten müssen. Auch der Ampel-Koalitionsvertrag betont: „Das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet ist zu gewährleisten.“

Wir fordern Sie deshalb auf, sich für den Schutz der Menschen in Deutschland und das Recht auf ein Leben frei von Massenüberwachung und Kontrolle einzusetzen.

Unterzeichnende Organisationen alphabetisch sortiert:

  • AlgorithmWatch
  • Amnesty International
  • Antidiskriminierungsverband Deutschland e.V.
  • Chaos Computer Club
  • D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt
  • Dachverband der Fanhilfen e.V.
  • Deutscher Caritasverband e.V.
  • Digitale Freiheit e.V.
  • Digitale Gesellschaft e.V.
  • Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V.
  • Humanistische Union e.V.
  • LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik
  • netzforma* e.V. – Verein für feministische Netzpolitik
  • Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.
  • SUPERRR Lab
  • Topio e.V.
  • Wikimedia Deutschland e. V.

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Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V. ist ein deutschlandweiter Zusammenschluss von Menschen, die sich kritisch mit Auswirkungen des Einsatzes der Informatik und Informationstechnik auf die Gesellschaft auseinandersetzen. Unsere Mitglieder arbeiten überwiegend in informatiknahen Berufen, vom IT-Systemelektroniker bis hin zur Professorin für Theoretische Informatik. Das FIfF wirkt in vielen technischen und nicht technischen Bereichen der Gesellschaft auf einen gesellschaftlich reflektierten Einsatz von informationstechnischen Systemen zum Wohle der Gesellschaft hin. Zu unseren Aufgaben zählen wir Öffentlichkeitsarbeit sowie Beratung und das Erarbeiten fachlicher Studien. Zudem gibt das FIfF vierteljährlich die „FIfF-Kommunikation – Zeitschrift für Informatik und Gesellschaft“ heraus und arbeitet mit anderen Friedens- sowie Bürgerrechtsorganisationen zusammen. Hier finden sich unsere 10 Werte.