… damit der Traum nicht aus ist.

Liebe Freundinnen und Freunde des FIfF, liebe Mitglieder, die öffentliche politische Debatte wird derzeit von zwei Themen beherrscht ...

… damit der Traum nicht aus ist.
Gibt es ein Land auf der Erde / wo der Traum Wirklichkeit ist?
Ich weiß es wirklich nicht.
Ich weiß nur eins – und da bin ich sicher –: Dieses Land ist es nicht!
(Ton Steine Scherben, Rio Reiser, „Der Traum ist aus“)

Liebe Freundinnen und Freunde des FIfF, liebe Mitglieder,

die öffentliche politische Debatte wird derzeit von zwei Themen beherrscht: Der Migration Schutzsuchender nach Deutschland, und von Kriegen in der Ukraine, in Gaza und im Libanon, und auch – in der deutschen Öffentlichkeit weniger präsent – im Jemen. Innenpolitisch beobachten wir einen besorgniserregend wachsenden Zuspruch zum Rechtspopulismus, nach den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, wo die Alternative für Deutschland (AfD) die Mandatsmehrheit erreicht hat (in Thüringen) oder nur knapp an zweiter Stelle lag (in Brandenburg und Sachsen).1

„… es gab keine Angst und nichts zu verlieren …“

Mit kritischen Worten zu den genannten Landtagswahlen leitet Bundeskanzler Olaf Scholz seine Rede2 zur Debatte über den Haushalt des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts ein3 und kritisiert die AfD scharf. Im Weiteren benennt er Zuwanderung und Migration als eine der großen Fragen für die Zukunft unseres Landes und weist zun.chst auf die Bedeutung der Zuwanderung für dessen Erfolg hin. Doch dann kommt er auf die „irreguläre“ Migration4 zu sprechen. Stolz führt er die repressiven Maßnahmen seiner Regierung auf und brüstet sich damit, diese Maßnahmen auch umgesetzt, anstatt wie die Parteien in der Opposition nur gefordert zu haben: Verlängerung des Gewahrsams, Reduzierung des Rechtsbehelfs, Reduzierung der Leistungen, Erweiterung der Zahl der „sicheren“ Herkunftsländer. Kurz gesagt: Diese Regierung hat menschenfeindliche Maßnahmen nicht nur verlangt, sondern auch durchgeführt. Dass das den Rechten und Konservativen immer noch nicht genügt, zeigen die im Protokoll vermerkten Zwischenrufe. Als Fazit ist festzuhalten: Die politische „Mitte“ rückt immer mehr nach rechts – womöglich ein Ergebnis des Rechtspopulismus der AfD, aber auch davon, dass die Parteien dieser „Mitte“ immer mehr deren Narrativen und Forderungen nachgeben.5 Sehr deutlich wurde dies bereits im Oktober 2023, als Bundeskanzler Scholz mit grimmiger Miene auf dem Titel des Magazins Der Spiegel abgebildet war und mit den Worten zitiert wurde: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“6 Dies sagte er zu einer Zeit, als das Unwort von der „Remigration“ die Runde machte und Zehntausende zu großen Demonstrationen gegen Rechtspopulismus auf die Straße brachte. Grenzen in Europa werden wieder geschlossen und damit eine großartige Errungenschaft der Europäischen Union infrage gestellt, der freie Reiseverkehr. Welcher Schaden hier gerade angerichtet wird, ist vielleicht überhaupt noch nicht abzusehen.

Eins ist klar: Wir müssen dem Rechtspopulismus und seinen antidemokratischen Auswüchsen entschieden entgegentreten. Aber wir werden ihn nicht besiegen, indem wir uns seine Forderungen zu Eigen machen.

Gleichzeitig fordert eine Initiative, ein Verbotsverfahren gegen die AfD anzustrengen.7 Das Komitee für Grundrechte und Demokratie setzt sich differenziert mit der Frage des richtigen Weges im politischen Umgang mit der AfD auseinander.8,9 Die Diskussion darüber ist notwendig. Ob dieses Mittel – vielleicht das letzte Mittel des demokratischen Rechtsstaats – angemessen ist, muss der weitere Verlauf der Debatte zeigen, auch beim FIfF.

„… es gab keine Waffen und keine Kriege mehr …“

„Der Krieg muss nach Russland getragen werden“, so forderte der CDU-Militärpolitiker Roderich Kiesewetter angesichts der Aggression Russlands in der Ukraine.10 Dies scheint nach dem Gegenangriff der ukrainischen Streitkräfte auf Kursk und Drohnenangriffe auf russischem Gebiet nun gelungen zu sein und damit eine weitere Stufe der Eskalation dieses Konflikts zu eröffnen. Selbstverständlich ist es legitim, mit Gegenangriffen auf den Angriff Russlands zu antworten – doch wie können wir diese Gewaltspirale durchbrechen? Mit immer weiter eskalierenden Waffenlieferungen? Ich habe da so meine Zweifel. Namhafte Politiker:innen, wie der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen11, der die Entwicklung des Verhältnisses zu Russland und die Frage der Aufnahme der Ukraine in die EU teilweise als Akteur selbst miterlebt und -gestaltet hat, zeichnen ein differenziertes Bild des Ursprungs dieses Konfliktes und fordern zu einer Politik der Entspannung auf.

Gleichzeitig steigt anscheinend auch sonst die Akzeptanz militärischer Lösungen. Wer sich wie ich an die großen Demonstrationen der 1980er-Jahre gegen die Nachrüstung im Rahmen des NATO-Doppelbeschlusses erinnert12, reibt sich verwundert die Augen, wie gerade die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen, die gegen Russland gerichtet sind, anscheinend ohne größere öffentliche Debatte durchgesetzt und akzeptiert wird. Damals war die Stationierung der Pershing-II-Raketen und der Cruise Missiles noch mit einem Verhandlungsangebot verknüpft. Heute gibt es nicht einmal das. Eine weitere Eskalation der atomaren Rüstung – auch angesichts der kurzen Reaktionszeiten und der damit verbundenen, wieder steigenden Gefahr eines Atomkrieges aus Versehen13 ist unverantwortlich – selbstverständlich auf beiden Seiten. Sie steht in Verbindung mit der weiteren Akzeptanz des Militärischen in der deutschen Außenpolitik – ausgerechnet unter einer rot-grün-gelb geführten Bundesregierung.14 Ob die Militärpolitik auch bei der Wahlentscheidung in Brandenburg, Sachsen und Thüringen eine Rolle gespielt hat, ist wohl nicht leicht zu beantworten – eine Umfrage der Tagesschau zeigt eine deutliche Betonung dieser Frage bei Wähler:innen der BSW und unterdurchschnittliche Bedeutung bei der AfD.15

In das Gesamtbild einer zunehmend repressiven Politik passt dann auch die aktuelle Initiative des Bundesinnen- und -heimatministeriums zur heimlichen Durchsuchung von Wohnräumen und der biometrischen Fernidentifikation von Personen anhand von Bildern im Internet. An der KI-Verordnung der Europäischen Union wurde bereits kritisiert, dass dies dort nicht klar verboten wird. Hier wird es wirklich gefährlich: Neben den heute schon bestehenden Möglichkeiten des Missbrauchs eröffnet dies nicht nur der aktuellen, sondern auch einer denkbaren rechtsextremistisch beeinflussten Regierung weitgehende Möglichkeiten der Repression – auch gegen politische Gegner:innen. Sie führen zu dem Risiko, sich nicht mehr anonym im öffentlichen Raum bewegen zu können und gefährden damit eine zentrale Grundlage der Demokratie. Das FIfF hat sich gemeinsam mit anderen Organisationen dem Bündnis Gesichtserkennung stoppen angeschlossen, das eine klare Abkehr von diesem Weg fordert und die Verantwortung betont, „undemokratischen Kräften keine Werkzeuge auf den Tisch zu legen, die diese missbrauchen können – und werden.“

„… das war das Paradies.“

Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung, sehr geehrte Mitglieder des Deutschen Bundestages: Bitte sorgen Sie – mit den angemessenen demokratischen Mitteln – dafür, dass die deutsche und europäische Politik nicht vom Rechtspopulismus, vom Rechtsextremismus und vom Militarismus bestimmt wird, oder ihm politisch repressive Möglichkeiten verschafft – ob direkt oder indirekt. Das bedeutet in erster Linie, Rechtsextremismus politisch zu bekämpfen. Das ist Ihre Verantwortung, dafür wurden Sie gewählt. Damit der Traum nicht aus ist.

Mit FIfFigen Grüßen
Stefan Hügel

Anmerkungen

1 https://www.wahlrecht.de/

2 Deutscher Bundestag (2024) Stenografischer Bericht der 184. Sitzung, Plenarprotokoll 20/184, S. 23852 A ff.

3 „… die traditionell für eine Abrechnung der Opposition mit der Politik der Bundesregierung genutzt wird“, wie die Medien in ihrer Berichterstattung selten vergessen zu erwähnen.

4 Pro Asyl weist auf die Problematik dieses Begriffs hin, der bereits 2017 von der AfD verwendet worden sei (https://www.proasyl.de/news/der-begriff-irregulaere-migration-und-wie-er-zur-taeuschung-eingesetzt-wird/). Mittlerweile sprechen auch Vertreter:innen von Bündnis90/Die Grünen von „irregulärer Migration“ (z.B. https://www.zeit.de/news/2023-11/13/kretschmann-wir-muessen-irregulaeremigration-begrenzen) – nur ein Beispiel dafür, wie rechtspopulistische Narrative immer mehr im Mainstream hoffähig werden.

5 Lesenswert zur Rede von Bundeskanzler Scholz auch die Kolumne auf Spiegel Online: Samira El Ouassil (2024) Wettrüsten der Menschenfeinde, https://www.spiegel.de/kultur/rechtsruck-in-deutschlandwettruesten-der-menschenfeinde-kolumne-a-1a1170f7-fdcd-4f3ca40a-486cdcaddebc

6 Der Spiegel 43/2023, Titelblatt und Interview mit Bundeskanzler Scholz, S. 16 ff.

7 Die Initiative betreibt eine Web-Seite unter https://afd-verbot.jetzt. Welche Organisationen und Personen im Einzelnen hinter dieser Initiativestehen, ist dort (Stand: 16. September 2024) noch nicht erkennbar – lediglich der Bund der Verfolgten des Nazi-Regimes stellt offen ein Spendenkonto dafür zur Verfügung.

8 Komitee für Grundrechte und Demokratie (2024) Radikal demokratisch gegen den Faschismus? Reflexionen des Komitees für Grundrechte und Demokratie zu einem möglichen AfD-Verbotsverfahren, https://www.grundrechtekomitee.de/fileadmin/user_upload/Pdf/Grundrechtekomitee_AfD-Verbotsdebatte_02-2024.pdf

9 Komitee für Grundrechte und Demokratie (2024) Die Entleerung von Antifaschismus. Zur linken Anrufung der „wehrhaften Demokratie“, https://www.grundrechtekomitee.de/details/die-entleerung-vonantifaschismus-zur-linken-anrufung-der-wehrhaften-demokratie

10 Florian Naumann (2024) „Krieg muss nach Russland getragen werden“: CDU-Experte fordert Eskalation – gegen den Worst Case, FR online,https://www.fr.de/politik/ukraine-waffen-deutschland-forderungappell-kiesewetter-cdu-russland-krieg-putin-zr-92825380.html

11 Günter Verheugen, Petra Erler (2024) Der lange Weg zum Krieg. Russland, die Ukraine und der Westen: Eskalation statt Entspannung, München: Heyne-Verlag und Günter Verheugen (2023): Ab wann nahm das Verhängnis seinen Lauf?, vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik Nr. 239/240 [61(3-4)], S. 7-17

12 … und die – nebenbei – die Rahmenbedingungen schufen, unter denen damals das FIfF gegründet wurde …

13 https://atomkrieg-aus-versehen.de

14 Stefan Hügel (2024) „Mach, was wirklich zählt!“, Der Brief, FIfF-Kommunikation Band 41 (2), S. 4-5

15 Das Umfrageergebnis der Tagesschau zur Frage „Der Krieg zwischen der Ukraine und Russland spielt bei meiner Wahlentscheidung die größte Rolle“ zeigt beispielsweise 5 % Zustimmung bei allen Parteien, 17 % Zustimmung beim BSW und 3 % Zustimmung bei der AfD: https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2024-09-01-LT-DE-TH/charts/umfrage-wahlentscheidend/chart_1734144.shtml