Es werden alle überwacht: Biometrische Gesichtserkennung stoppen!
Wir kritisieren die aktuellen Pläne des Bundesinnenministeriums, die KI-gestützte Überwachung der Bevölkerung und polizeiliche Datenbanken durch Palantir & Co. auszubauen.

Gemeinsamer offener Brief vom 8.8.2025
Ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen wendet sich gegen die aktuellen Pläne des Bundesinnenministeriums, die KI-gestützte (Internet-)Überwachung der Bevölkerung deutlich auszubauen und kritisiert die KI-gestützte Analyse polizeilicher Datenbanken durch private Unternehmen wie Palantir scharf.
Der vorgesehene Abgleich biometrischer Daten mit Social-Media-Plattformen käme einer dauerhaften Massenüberwachung gleich. Der dafür nötige Aufbau KI-gestützter „Superdatenbanken“ steht zudem im Widerspruch zur EU-KI-Verordnung. Auch die geplante automatisierte Datenauswertung durch Bundespolizei und BKA gefährdet massiv die Grundrechte, denn sie ermöglicht weitreichende Profilbildung auch von Unbeteiligten. Besonders kritisch ist die vorgesehene Zusammenarbeit mit privaten Firmen, etwa dem umstrittenen US-Unternehmen Palantir.
Der offene Brief im Wortlaut
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Merz,
sehr geehrter Herr Vizekanzler Klingbeil,
sehr geehrter Herr Bundesminister des Innern Dobrindt,
sehr geehrte Frau Bundesministerin der Justiz Hubig,
der bekannt gewordene Referentenentwurf zur „Stärkung digitaler Ermittlungsbefugnisse in der Polizeiarbeit“ zeigt, dass die Bundesregierung massenhafte biometrische Überwachung sowie KI-gestützte „Superdatenbanken“ einführen möchte.
Konkret sieht der Entwurf zum einen vor, das gesamte öffentliche Internet, insbesondere also auch Social Media-Plattformen und öffentliche Chat-Gruppen, mit den biometrischen Daten gesuchter Personen abzugleichen. Bundeskriminalamt und Bundespolizei sollen diese Befugnis nicht nur zur Bekämpfung von Terrorismus erhalten, sondern als Standardmaßnahme für nahezu alle Tätigkeiten, die in ihren Aufgabenbereich fallen, insbesondere auch zur Identifikation und Aufenthaltsermittlung von Personen, die keiner Straftat verdächtig sind. Gleiches gilt für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das dieses Instrument ohne jeden Bezug zu einer Straftat oder einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zur Feststellung der Identität von Personen nutzen können soll.
Ein solcher Abgleich von biometrischen Daten ist technisch jedoch nur möglich, wenn riesige Gesichtsdatenbanken aller Menschen, die im Internet abgebildet sind, angelegt werden. Solche Gesichtsdatenbanken sind nach Artikel 5 der KI-Verordnung eine verbotene Praxis, da sie Massenüberwachung und umfassende Profilbildung ermöglichen und zu schweren Verstößen gegen Grundrechte, einschließlich des Rechts auf Privatsphäre, führen können. Sie können außerdem zu einem Abschreckungseffekt auf die Grundrechtsausübung führen. So könnten es Menschen etwa vermeiden, Fotos und Videos im Netz zu teilen oder Tätigkeiten nachzugehen, von denen Aufnahmen im Netz veröffentlicht werden könnten.
Wir fordern Sie daher auf, sich gegen jede Form der biometrischen Auswertung des Internets in Deutschland einzusetzen.
Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf vor, es zukünftig Bundespolizei und Bundeskriminalamt zu ermöglichen, automatisiert persönliche Daten aus bisher getrennten Datenbanken in eine „Superdatenbank“ zusammenzuführen und zur Analyse weiterzuverarbeiten. Diese KI-gestützte Auswertung riesiger Datenmengen birgt erhebliche Risiken für Grund- und Menschenrechte. Sie ermöglicht die umfassende Profilbildung von Individuen und beschränkt sich nicht auf Tatverdächtige, sondern umfasst auch Opfer, Zeugen und andere Personen, die zufälligerweise in polizeilichen Datenbanken erfasst sind. Die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse für die Polizeibehörden ist nicht gesichert, wenn private Unternehmen den zugrundeliegenden Code nicht offenlegen und bereits an sich unzureichend nachvollziehbare KI-Elemente integriert sind. Der Einsatz von KI birgt zudem ein hohes Risiko für die Diskriminierung bereits marginalisierter Gruppen der Bevölkerung. Bisherige Gesetzesgrundlagen für solche automatisierten Auswertungen in Hessen und Hamburg sind vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Er bringt also erhebliche rechtliche Unsicherheiten mit sich.
Ganz besonders bedenklich ist der laut aktueller Berichterstattung geplante Einsatz von Palantir zur Umsetzung der automatisierten Datenanalysen. Palantir ist eng verbunden mit dem Tech-Milliardär Peter Thiel, der bekennender Anhänger der Trump-Regierung und explizit der Auffassung ist, dass Demokratie nicht mit Freiheit vereinbar sei. Beim Einsatz von Palantir erhält das US-Unternehmen beziehungsweise seine Tochtergesellschaften Zugriff auf alle Daten der Polizeibehörden und kann sie potenziell in die USA übermitteln. Der Einsatz der Software gefährdet daher auch in ganz erheblichem Maße die digitale Souveränität Deutschlands.
Wir fordern Sie auf, sich für den Schutz aller Menschen und das Recht auf ein Leben frei von Massenüberwachung und Kontrolle einzusetzen. Palantir darf nicht in Deutschland eingesetzt werden.
Insgesamt sieht der Referentenentwurf Maßnahmen vor, die in keinem angemessenen Verhältnis zu dem vermuteten Gewinn an Sicherheit stehen. Als Zivilgesellschaft haben wir die Erwartung, dass die Bundesregierung Gesetze vorlegt, die nicht ständig an der Grenze der Verfassungswidrigkeit und des Europarechts – und sogar darüber hinaus – segeln. Solche Gesetze führen nicht nur zu Grundrechtsverletzungen und Überwachung von Unschuldigen, sondern auch zu jahrelanger Rechtsunsicherheit, in der sich die Strafverfolgungsbehörden nicht auf die Rechtmäßigkeit ihrer Instrumente verlassen können. In der Vergangenheit wurde viel Geld und Zeit – beispielsweise bei der Vorratsdatenspeicherung – verloren, die man in die grundrechtskonforme Weiterentwicklung der Strafverfolgungsbehörden hätte investieren können.
Nicht zuletzt im Kontext erstarkender rechtsextremer Parteien muss der Aufbau einer Überwachungsinfrastruktur, wie sie das Gesetzespaket durch biometrische Abgleiche und KI-Datenanalyse vorsieht, verhindert werden. Demokratische Kräfte müssen vielmehr gemeinsam die Möglichkeit des institutionellen Machtmissbrauchs minimieren.
Wir fordern Sie deshalb dazu auf, den aktuellen Entwurf zurückzuziehen und sich stattdessen für grundrechtskonforme Polizeiarbeit und für Rechtsstaatlichkeit einzusetzen.
Unterschreibende Organisationen
- AG KRITIS
- AlgorithmWatch
- Amnesty International Deutschland
- Anoxinon e.V.
- Chaos Computer Club
- D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt
- Datenpunks e.V.
- Deutsche Aidshilfe
- Digitale Freiheit
- Digitale Gesellschaft e.V.
- Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF)
- Humanistische Union e.V.
- Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit e.V.
- kleindatenverein
- LOAD e.V. - Verein für liberale Netzpolitik
- netzforma* e.V. -Verein für feministische Netzpolitik
- Pena.ger, die bundesweite Online-Beratungsstelle für Geflüchtete
- Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV)
- SUPERRR
- Topio e.V.
Zitate der Beteiligten des offenen Briefes
- Rainer Rehak, Ko-Vorsitz des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF): „Ein solch mächtiges – in den USA für das Militär entworfenes – Werkzeug in den Händen der Polizei würde die leider anderweitig schon beobachtbare Militarisierung der Polizei nun im Digitalen fortschreiben. Diese Militarisierung der Polizei und Auflösung der Zweckbindung lehnen wir ab, auch deshalb, weil der Nutzen nie transparent dargelegt wurde und somit die demokratisch gebotenen Verhältnismäßigkeitsüberlegungen unmöglich sind. Wir warnen auch dringend vor einer vorschnellen Verrechtlichung der Diskussion, denn das Vorhaben an sich drückt ein kontroll- und algorithmenzentriertes Gesellschafts- und Sicherheitsverständnis aus, was im Kern bekämpft werden muss, weil es prinzipiell einer freiheitlichen Gesellschaft entgegensteht. Gesetzte können geändert werden, das macht die andiskutierten Verfahren aber nicht richtig. Sicherheit ist im Kern eine soziale Frage und genau in diesen Bereich wird gerade von den Regierungsparteien vielfach die Axt angelegt. Dieser Zusammenhang muss im Mittelpunkt der Diskussion stehen, nicht ein Paragraphenstreit.“
- Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs: „Die Pläne Dobrindts zur biometrischen Fahndung im Netz sind gefährlich und rundweg abzulehnen. Denn sie würden den öffentlichen Raum Internet verändern: Millionen Gesichter in Bildern oder Filmen, die Menschen alltäglich im Netz teilen, würden zum biometrischen Rohstoff für automatisierte polizeiliche Suchen. Dass der Innenminister dabei über europäische Datenschutzregeln einfach hinweggeht, zeigt eine beunruhigende Ignoranz gegenüber bestehenden Rechten. Auch Dobrindts Plan in seinem 'Sicherheitspaket‘, alle Polizei-Datenbestände zusammenzuführen und automatisiert zu analysieren, muss gestrichen werden. Es würde die alltäglichen Polizeikontakte von Menschen in eine undurchsichtige Analyse-Maschinerie hineingeben, die nichts mehr mit dem eigentlichen Zweck der Datenerhebung zu tun hat. Dass dazu auch nur erwogen wird, den US-Konzern Palantir mit der Polizeidatenanalyse zu beauftragen, lässt die Aussagen zur ‚digitalen Souveränität‘ im Koalitionsvertrag geradezu lächerlich erscheinen.“ Konstantin Macher, Vorstandsmitglied bei der Digitalen Gesellschaft: “Die Bundesregierung will die Gesellschaft durch Überwachung und Kontrolle regieren, aber damit werden keine Probleme gelöst. Wir wollen eine nachhaltige Sicherheitspolitik, die Steuergelder stattdessen dafür nutzt, um Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen.“
- Lena Rohrbach, Referentin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter und Rüstungsexportkontrolle bei Amnesty International Deutschland: „Der Entwurf für das sogenannten 'Sicherheitspaket' birgt erhebliche demokratische und menschenrechtliche Risiken. Alle Videos, Fotos und andere biometrische Daten im Netz zu durchsuchen, um einige wenige Personen zu finden, die nicht einmal einer Straftat verdächtig sein müssen, ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf Privatsphäre. Die automatisierte Datenanalyse, auch mittels KI, führt zur umfassenden Profilbildung über unzählige Menschen. Amnesty International hat durch Recherchen zum Einsatz von KI in Behörden immer wieder gezeigt, dass dieser oft zu Diskriminierung gegen marginalisierte Bevölkerungsgruppen führt. Soll dafür Palantir-Software eingesetzt werden, so handelt es sich außerdem um ein Unternehmen, das seinen Pflichten zur Achtung der Menschenrechte unter den UN- Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte nicht nachkommt. Deutsche Behörden sollten eine Beschaffungsrichtlinie erhalten, die die Menschenrechtsbilanz eines Unternehmens zwingend berücksichtigt.“
- Erik Tuchtfeld, Co-Vorsitzender von D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt, kommentiert: „Das Bundesinnenministerium schlägt vor, zukünftig willkürlich privat aufgenommene Bilder – von Grill-Partys über Klima-Demonstrationen bis hin zu Pride-Paraden – massenhaft auszuwerten und sensibelste persönliche Daten den Palantirs dieser Welt zur Verfügung zu stellen. Sollte dieser Vorschlag Realität werden, gefährdet er die Sicherheit und Grundrechte von Millionen Menschen, die keiner Straftat verdächtig sind. Darüber hinaus würden neue Abhängigkeiten vom Trump-Regime geschaffen, die die digitale Souveränität Deutschlands weiter einschränken. Es wäre ein Zeichen für eine Koalition der Verantwortungslosigkeit.“ Manuel 'HonkHase' Atug, Gründer und Sprecher der AG KRITIS: „Freiheitsrechte sind kritische Infrastruktur für die Demokratie.“
- Kilian Vieth-Ditlmann, Head of Policy bei AlgorithmWatch: „Innenminister Dobrindt schlägt im Prinzip vor, eine gigantische Gesichtsdatenbank aller Bürgerinnen und Bürger aus dem Internet zu bauen – ganz egal, ob jemand verdächtig ist oder nicht. Familienfotos, Party-Selfies, Screenshots aus Videos oder Bilder, auf denen man nur im Hintergrund zu sehen ist – alles soll erfasst und durch KI analysiert werden. Das ist restlos unverhältnismäßig und genau deshalb durch EU-Recht verboten.“
- Stefan Hügel, Vorsitzender der Humanistischen Union (und des FIfF): „Die geradezu dystopisch anmutenden Datenbanken in Verbindung mit KI-gestützter Auswertung, biometrischer Massenüberwachung und Profilbildung verstoßen gegen die KI-Verordnung und sind mit einer Demokratie unvereinbar. Eine denkbare künftige antidemokratische Regierung wird solche Mittel begierig aufgreifen und gegen die Demokratie wenden. Dazu kommt das Risiko des „programmierten Rassismus“, der systematischen Diskriminierung marginalisierter Gruppen.“
- Bianca Kastl, Erste Vorsitzende des Innovationsverbunds Öffentliche Gesundheit (INÖG) e.V.: „Anlasslose Massenüberwachung hilft genau niemanden – außer dem Niedergang des Vertrauens in den Staat und dessen demokratische Kontrolle.“
- Teresa Morrkopf-Widlok, Vorsitzende von LOAD e.V.: „Was Dobrindt als Sicherheitspaket verkauft, ist in Wahrheit ein Blankoscheck für digitale Massenüberwachung. Biometrische Rasterfahndung und automatisierte Datenanalyse sind nicht verhältnismäßig und haben einen zu hohen grundrechtlichen Preis. Statt auf funktionierende Daten, bessere Vernetzung, gezielte Strafverfolgung und rechtsstaatliche Kontrolle zu setzen, entsteht ein schlüsselfertiger Überwachungsapparat. Der Schulterschluss mit einem Unternehmen wie Palantir, das (rechts-)staatliche Strukturen als Hindernis für Effizienz begreift, ist brandgefährlich. Wer so Politik macht, riskiert nicht nur Bürgerrechte, sondern auch die eigene digitale Souveränität.“
- Michael W., Vorstand bei Topio e.V.: „Eine ausufernde und zunehmend unkontrollierte Massenüberwachung ist der falsche Weg. Sie schafft kein Vertrauen in Demokratie und Staat, sondern fördert eine Haltung des Misstrauens und der Verdächtigung.“
Weitergehende Informationen
- Die Gesetzesentwürfe: https://netzpolitik.org/2025/gesichtserkennung-und-ki-innenminister-dobrindt-plant-neues-sicherheitspaket/
- Pressemitteilung des FIfF dazu: https://blog.fiff.de/dobrindts-sicherheitspaket-palantir/
- Über die verwandte Aktion „Gesichtserkennung stoppen!“ uns seine Mitglieder: https://gesichtserkennung-stoppen.de/#unterstuetzende
Pressekontakt
- Rainer Rehak: rainer [dot] rehak [ät] fiff [dot] de
Über das FIfF
Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V. ist ein deutschlandweiter Zusammenschluss von Menschen, die sich kritisch mit Auswirkungen des Einsatzes der Informatik und Informationstechnik auf die Gesellschaft auseinandersetzen. Unsere Mitglieder arbeiten überwiegend in informatiknahen Berufen, vom IT-Systemelektroniker bis hin zur Professorin für Theoretische Informatik. Das FIfF wirkt in vielen technischen und nicht technischen Bereichen der Gesellschaft auf einen gesellschaftlich reflektierten Einsatz von informationstechnischen Systemen zum Wohle der Gesellschaft hin. Zu unseren Aufgaben zählen wir Öffentlichkeitsarbeit sowie Beratung und das Erarbeiten fachlicher Studien. Zudem gibt das FIfF vierteljährlich die „FIfF-Kommunikation – Zeitschrift für Informatik und Gesellschaft“ heraus und arbeitet mit anderen Friedens- sowie Bürgerrechtsorganisationen zusammen. Hier finden sich unsere 10 Werte.