Infantilisierung der Politik
Wohl die meisten von uns haben bis zuletzt auf ein anderes Ergebnis gehofft, aber es war abzusehen ...
Liebe Freundinnen und Freunde des FIfF, liebe Mitglieder,
wohl die meisten von uns haben bis zuletzt auf ein anderes Ergebnis gehofft, aber es war abzusehen: Donald Trump wurde wieder zum US-Präsidenten gewählt, und machte sich sogleich daran, ein Kabinett zu benennen, dessen Besetzung wir – zumindest aus unserer europäisch geprägten Sicht – wohl mindestens mit Sorge betrachten müssen. Es ist müßig, zu diskutieren, ob die bis zuletzt optimistischen Vorhersagen für seine Konkurrentin Kamala Harris angesichts des deutlichen Ergebnisses ehrlich waren oder als strategische Kommunikation versuchten, einen aussichtslosen Kampf vielleicht doch noch zu drehen. Wir werden nun sehen müssen, welche Politik Trump in seiner zweiten Amtszeit tatsächlich betreibt und wie sie sich auf Europa auswirken wird. Häufig wird die Sorge geäußert, dass das weltweite militärische Engagement der USA reduziert werden könnte. Daraus wird dann abgeleitet, das unsere Rüstungsanstrengungen massiv verstärkt werden müssten – eine Folgerung, die großen Rüstungsunternehmen nicht ungelegen kommen dürfte.
Sicherlich wird es die Politikwissenschaft beschäftigen, warum die Beliebtheit populistischer Machthaber in den letzten Jahren stark zugenommen hat – nicht nur in den USA. Gelegentlich wird es einem vergifteten öffentlichen Diskurs durch Soziale Medien zugeschrieben, nicht zuletzt durch die Übernahme des Nachrichtendienstes Twitter durch den Technologie-Milliardär Elon Musk, der nun selbst Teil der Trump-Regierung sein wird. Doch welchen Anteil haben die „klassischen“ Medien an dieser Entwicklung? Dazu einige Beobachtungen und Fragen:
• Ein kleines Experiment: Welche US-Politiker:innen waren seit 2021 – also in der Amtszeit Joseph Bidens – auf dem Titel des wohl wichtigsten Nachrichtenmagazins in Deutschland, dem Spiegel, zu sehen. Eine Zählung1 ergibt: 6 x Donald Trump, 3 x Elon Musk, 1 x beide gemeinsam. Kamala Harris immerhin zweimal, ein drittes Mal gemeinsam mit Donald Trump. Von Joseph Biden, dem amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten gab es (außer einmal mit Trump) kein einziges Titelbild. Menschen wählen Politiker:innen, die sie kennen und in den Medien täglich sehen. Sicherlich hat nicht der Spiegel die US-Wahl beeinflusst. Es liegt aber nahe, anzunehmen, dass dieser Befund auf die USA übertragbar ist: Wurde hier – vielleicht unabsichtlich – Trump systematisch populär gemacht?
• Häufiger war in den vergangenen Jahren Bundeskanzler Scholz zu sehen. Doch er sah sich einem medialen Dauerfeuer ausgesetzt: „Führungsschwach“, „kommuniziert schlecht“, „telefoniert mit Putin“, „liefert keine Waffen“. Nun soll die Leistung der noch amtierenden Bundesregierung hier nicht das Thema sein, und es ist selbstverständlich Aufgabe der Medien, berechtigte Kritik an einer Regierung zu üben. Doch können wir wohl davon ausgehen, dass ihre öffentliche Wahrnehmung durch die Berichterstattung nicht gerade verbessert wurde. Wann ist Kritik berechtigt, und ab wann wird sie zur Kampagne?
• Seit längerer Zeit frage ich mich, welchen Beitrag eine – so mein Eindruck – fortschreitende Infantilisierung, oder um ein angeblich populäres Jugendwort2 zu bemühen: Niveaulimbo, der politischen Berichterstattung zur Delegitimierung politischer Institutionen beiträgt. „Ampel“, „Ampel-Aus“, „Jamaika-Aus“, „Groko“, „K-Frage“ sind nur einige exemplarische Beispiele, teilweise schaffen sie es zum Wort des Jahres3. Wie ernst nimmt man Politik, die mit solch albernen Begriffen beschrieben wird?
• Glauben wir den Umfragen, ist Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius derzeit der beliebteste Politiker in Deutschland. Ein Mann, der gerne martialisch auftritt, im Bundeswehr-Flecktarn, auf einem Panzer sitzend, vor der Schwarz- Rot-Goldenen Flagge4. Woher kommt die anscheinend wieder auflebende Begeisterung der Deutschen für das Militärische? Der Glaube, der russische Präsident Putin warte nur auf eine günstige Gelegenheit, Deutschland zu überrennen? Nebenbei – in der Vergangenheit, im 2. Weltkrieg, waren es wir Deutschen, die Russland überrennen wollten5, mit Millionen Opfern, bis die Niederlage in Stalingrad die Wende brachte.
Alles nur Schlaglichter, vielleicht ohne größere Bedeutung, vielleicht aber auch Indizien für eine Entwicklung, die uns in kleinen Schritten zur Militarisierung, zur Delegitimierung politischer Institutionen und letztlich zu politischen Verschiebungen führt, die wir uns besser nicht wünschen sollten. Soll Politik vor allem aufregend sein und interessant präsentiert werden? Müssen wir jede Verlautbarung, jeden dummen Spruch von Spitzenpolitiker:innen gleich weltweit verbreiten? Brauchen wir spannende Wahlen oder angemessene politische Entscheidungen? Der damals vieldiskutierte US-amerikanische Medienwissenschaftler Neil Postman6 schrieb bereits in den 1980er-Jahren: „Problematisch am Fernsehen ist nicht, dass es uns unterhaltsame Themen präsentiert, problematisch ist, dass es jedes Thema als Unterhaltung präsentiert.“ Die weitere Entwicklung des Internet und der sozialen Medien war damals noch nicht abzusehen. Sie dürfte solche Entwicklungen aber erheblich beschleunigt haben.
Dazu kommen Narrative, die sich in der politischen Berichterstattung herausbilden und die dann kaum mehr hinterfragt werden. Es geht hier nicht um Verschwörungsunsinn, die Bevölkerung solle durch zentral gesteuerte Kommunikation beeinflusst werden (obwohl der Vorwurf des Nudging7 im Raum steht, was die Bundesregierung freilich bereits in der Vergangenheit zurückgewiesen hat8). Eher um einen Herdentrieb, der dazu führt, dass viele – selbstverständlich nicht alle – Leitmedien zu einer angeglichenen Berichterstattung kommen. Dazu dürften auch Sparmaßnahmen in den Redaktionen und die daraus resultierende Übernahme von Agenturmeldungen oder gegenseitiges Zitieren von Berichten beitragen.
Wofür ich plädiere: Mehr Ernsthaftigkeit und Differenzierung statt Spannung in der politischen Berichterstattung. Mehr Presseclub und Frühschoppen, weniger krawallige Talkshows kurz vor Mitternacht. Dazu gehören auch wieder besser finanziell ausgestattete Redaktionen. Das gilt auch für soziale Medien, in denen populistischen Vereinfachungen und Parolen ein rationaler Diskurs entgegengesetzt werden muss. Die Übernahme von Plattformen wie X durch politische Akteur:innen ist dafür sicherlich nicht hilfreich. Aber wir dürfen solche Plattformen und den politischen Diskurs nicht den Vereinfachern und Populist:innen überlassen.
Mit FIfFigen Grüßen
Stefan Hügel
Anmerkungen
1 Eigene Zählung im Ausgabenarchiv auf www.spiegel.de (Paywall).
2 Wikipedia, Stichwort „Wort des Jahres (Deutschland)“, https://de.wikipedia.org/wiki/Wort_des_Jahres_(Deutschland)
3 ebd.
4 https://www.spd.de/wirkaempfenfuerdich
5 Wikipedia, Stichwort „Unternehmen Barbarossa“, https://de.wikipedia.org/wiki/Unternehmen_Barbarossa
6 Postman N (1988) Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch-Verlag
7 https://www.deutschlandfunk.de/nudging-beispiele-paternalismus-manipulation-100.html
8 https://www.bundestag.de/webarchiv/presse/hib/2019_10/663108- 663108