Offener Brief an die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zur Nutzung sozialer Medien

Für die Nutzung von wirklich sozialen Medien an deutschen Hochschulen.

Offener Brief an die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zur Nutzung sozialer Medien

10.1.2024 – Gemeinsame Erklärung mit Petitionsaufruf

Wir fordern die Hochschulen in Deutschland auf, ihre Accounts bei X (vormals Twitter) baldmöglichst still zu legen. Die Präsenz bei X/Twitter wird aufgrund der dort betriebenen Desinformation und politischen Hetze nicht dem Aufklärungsanspruch der Hochschulen gerecht. Gleichzeitig sollten Präsenzen auf Mastodon und anderen Servern im Fediverse aufgebaut werden, deren dezentrale und moderierte Gestaltung viel eher mit den Regeln eines demokratischen und nachhaltigen Miteinanders vereinbar ist.

Die Bedeutung der Sozialen Medien für die Kommunikation der Hochschulen ist in den letzten Jahren immer größer geworden. Doch inzwischen erscheinen die negativen Nebenwirkungen, die sich bei den großen Plattformen ergeben, nicht mehr vernachlässigbar. Insbesondere die Entwicklungen bei X/Twitter haben viele Nutzer:innen veranlasst, sich offenen Diensten wie Mastodon zuzuwenden.

Die aktuelle Situation bietet eine gute Gelegenheit innezuhalten und sich zu fragen, in welche Fahrwasser die Hochschulkommunikation hineingeraten ist, ohne den Kulturwandel der letzten Jahre zu hinterfragen. Diesen Prozess des Nachdenkens möchten wir anstoßen.

Das muss sich ändern

Von den Hochschulen in Deutschland erwarten wir deshalb, dass sie all denen, die die undemokratischen, unfairen und unnachhhaltig agierenden Plattformen nicht nutzen möchten, eine Alternative eröffnen. Umgehend sollten über einen Fediverse-Dienst wie Mastodon die gleichen Informationen verbreitet werden wie auf den anderen Plattformen bisher. Fediverse-Dienste bieten weit mehr als nur einen Werbekanal: über eigene Instanzen werden interaktive Räume gestaltet, in denen Wissenschaft nicht nur berichtet, sondern diskutiert und weiterentwickelt wird.

Daher sollten die Hochschulen zudem die Entwicklung des Fediverse unterstützen und eigene Server/Instanzen aufbauen wie das anderenorts bereits geschieht. Denn Mastodon und das Fediverse werden gerade von vielen Gruppen und Institutionen als Alternative erkannt, so dass ein Ausbau der Kapazitäten erforderlich wird. Dazu sind die Hochschulen mit ihren Fachbereichen zu Informationswissenschaften und ihren Bekenntnissen zu einer nachhaltigen Forschung und Lehre wie keine andere Institution berufen.

Die Unterzeichner:innen dieses Briefs sind überzeugt, dass die Art und Weise wie die großen Social-Media-Plattformen betrieben werden, eine ernste Gefährdung unseres demokratischen Gemeinwesens darstellt. Durch den zunehmenden Einsatz von sog. KI-Methoden werden die Nutzer:innen immer subtileren Manipulationen ausgesetzt, für die die exzessive Sammlung von Persönlichkeitsdaten die Voraussetzung geschaffen hat. Mit der Unterstützung beim Ausbau von Fediverse-Diensten wie Mastodon können die Hochschulen einen wichtigen Beitrag zur Stärkung unserer Demokratie und zur nachhaltigen Entwicklung von Wissenschaft und Gesellschaft leisten.

Das Problem

Die Hochschulen waren lange Zeit Orte des kritischen Denkens in Deutschland, und es ist erstaunlich, wie unkritisch die sog. Sozialen Medien eingesetzt werden. Dabei gibt es gute Gründe, die Nutzung von X/Twitter, Instagram, YouTube, TikTok usw. kritisch zu sehen:

1. Vielfach wurde über psychologische Beeinträchtigungen wie Depressionen und Internetsucht berichtet. Die frühere Facebook-Mitarbeiterin Frances Haugen offenbarte die Manipulationsmethoden und wies darauf hin, dass die großen Plattformen psychologische Teams und Methoden einsetzen, um die Nutzer möglichst lange zu fesseln und maximal viel Werbung auszuspielen. Die Präsenz der Hochschulen auf den Plattformen fördert deren Nutzung und verstärkt Abhängigkeiten.

2. Von den Nutzern werden in großem Umfang persönliche Daten abgegriffen, um Persönlichkeitsprofile für passgenaue Werbung zu erstellen. Viele dieser Datenabgriffe wurden vom Europäischen Gerichtshof im Juli 2020 als unzulässig und mit der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) als nicht vereinbar bewertet.

3. Die so gewonnen Persönlichkeitsdaten werden zur Ankurbelung eines unnachhaltigen Konsums eingesetzt. Mit dem Hashtag #tiktokmademebuyit gekennzeichnete Videos wurden mehr als 40 Milliarden Mal von Konsumenten gesehen, von denen ein großer Anteil durch Gebrauch der Plattform zum Kauf verführt wurde.

4. Desinformation und Hassrede, Cybermobbing und Diskriminierung sind nach wie vor bestimmende Elemente auf den sich selbst als sozial bezeichnenden Medien. Auch gesetzliche Vorschriften haben daran nichts ändern können. Die von uns gewählten Politiker:innen und andere Personen des öffentlichen Lebens werden auf den Plattformen weiterhin eingeschüchtert und bedroht, Frauenverfolgungen werden angezettelt, Wahlen werden manipuliert und demokratische Institutionen angegriffen.

5. Da alle Nutzenden vorzugsweise Plattformen nutzen möchten wie andere auch, sind die Betreiber zu globalen Monopolkonzernen geworden. Diese Geschäftsform widerspricht dem Modell einer sozialen Marktwirtschaft, die auf Vielfalt statt auf Monopole setzt. Die dezentrale Struktur von Diensten wie Mastodon, Friendica, PeerTube, etc., die sich im sog. Fediverse zusammengefunden haben, kommt einer solidarischen und gerechten Sozial- und Wirtschaftsordnung viel eher entgegen.

6. Die summierten Gewinne von Facebook/Meta, Alphabet/Google, TikTok usw. wuchsen in den letzten Jahren in die Größenordnung von 100 Mrd. Euro, was mit den Staatshaushalten mittelgroßer Staaten vergleichbar ist. Statt in Privathand werden die Gelder viel dringender zur Lösung gesellschaftlicher Aufgaben in den Ländern benötigt, in denen sie anfallen. Die Konzerne tragen zur Spaltung der Gesellschaften in Arm und Reich bei und konterkarieren die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung, die den Abbau von Einkommensungleichheiten fordern.

Diese gesellschaftlich schädlichen Entwicklungen zu befördern, können die Hochschulen nicht ernstlich wollen. Denn historisch sind sie als Orte der Aufklärung, Erkenntnis und Demokratisierung von Wissen entstanden und viele Hochschulangehörige sehen sie heute noch in dieser Rolle.

Eine grobe Schätzung ergibt jedoch, dass an den fast 300 Hochschulen in der HRK eine dreistellige Zahl von Personalstellen finanziert wird, um auf den kommerziellen Plattformen präsent zu sein. Somit werden jedes Jahr mehrere Millionen Euro aufgewandt, um nicht-nachhaltig agierende Konzerne aus Steuergeldern zu finanzieren. Tatsächlich werden diese Mittel für die Digitalisierung der Hochschulen dringend gebraucht: um moderne Hard- und Software anzuschaffen, um Open-Science-Modelle zu realisieren, um die IT vor Hackerangriffen zu schützen usw.

Mitunterzeichnung

Die Petition kann hier unterzeichnet werden:

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